Bayerische Akademie der Wissenschaften (Herausgeber)
Wie viel Wissenschaft braucht der Naturschutz?
Eine kritische Bestandsaufnahme
Rundgespräche Forum Ökologie Bd. 44
Rundgespräch am 12. Mai 2015 in München
2016. [Deutsch, 2 Beiträge englisch] – 159 Seiten, 49 Farb- und 14 Schwarzweißabbildungen, 4 Tabellen.
24 x 17 cm. Paperback
Reihe: Rundgespräche Forum Ökologie
ISBN: 978-3-89937-200-7
In den letzten 50 Jahren ist der Naturschutz, und hier insbesondere der Artenschutz, zunehmend in der Gesetzgebung verankert worden. Trotz aller Schutzanstrengungen nimmt die Zahl der gefährdeten oder vom Aussterben bedrohten Pflanzen- und Tierarten jedoch weiter zu. Warum ist dies so? Gibt es Schwachstellen in der Gesetzgebung oder in der Praxis? Wo liegen die Gründe für gescheiterte oder uneffektive Maßnahmen? Welche Rolle spielt der Naturschutz, wenn eine Art wieder häufiger wird?
Ausgehend von diesen Fragen beleuchtet das vorliegende Buch die Rolle der Wissenschaft für den Naturschutz. Es will aufzeigen, wo Forschungslücken bestehen, wie Artenschutz- und Naturschutzmaßnahmen wissenschaftlich besser als bisher begleitet werden können und wie der Informationsaustausch zwischen Wissenschaft und der Naturschutzpraxis in den zuständigen Fachbehörden verbessert werden kann. Darüber hinaus werden wissenschaftliche Methoden zur Findung von Schlüsselfaktoren für bedrohte Arten und eine biogeografische Analyse der heute in Deutschland am strengsten geschützten Arten vorgestellt. Eine Betrachtung der historischen Entwicklung des Naturschutzes in Deutschland und ein Beitrag zur Entscheidungsfindung im Naturschutz in Australien runden das Thema ab.
Mit Beiträgen von: Prof. Dr. Heike FELDHAAR, Prof. Dr. Jürgen GEIST, Dr. David GIBBONS, Priv.-Doz. Dr. Jan Christian HABEL, Prof. Dr. Wolfgang HABER, Prof. Dr. Johannes KOLLMANN, Prof. Dr. Hugh POSSINGHAM, Prof. Dr. Josef H. REICHHOLF, Prof. Dr. Wolfgang W. WEISSER, Dr. Willy ZAHLHEIMER.
Der Band enthält die überarbeiteten Vorträge und Diskussionen einer gleichnamigen Fachtagung, ergänzt mit einer Zusammenfassung sowie einem Schlagwort- und einem Artenverzeichnis. Das Forum Ökologie der Bayerischen Akademie der Wissenschaften hofft, mit dem damaligen Rundgespräch und der jetzt vorliegenden Dokumentationen zu einer Förderung des Dialogs zwischen Wissenschaft und behördlichem Naturschutz beizutragen. Das Buch richtet sich gleichermaßen an Fachleute wie an interessierte Laien.
Organisator des Rundgesprächs: Prof. Dr. Wolfgang W. WEISSER
Mit Beiträgen von: Prof. Dr. Heike FELDHAAR, Prof. Dr. Jürgen GEIST, Dr. David GIBBONS, Priv.-Doz. Dr. Jan Christian HABEL, Prof. Dr. Wolfgang HABER, Prof. Dr. Johannes KOLLMANN, Prof. Dr. Hugh POSSINGHAM, Prof. Dr. Josef H. REICHHOLF, Prof. Dr. Wolfgang W. WEISSER, Dr. Willy ZAHLHEIMER.
Verzeichnis der Vortragenden und der Diskussionsteilnehmer am Rundgespräch 5-5
Susanne RENNER und Wolfgang W. WEISSER: Vorwort 7
Martin HOSE: Begrüßung durch den Sekretar der Philosophisch-historischen Klasse der Bayerischen Akademie der Wissenschaften 9-10
Susanne RENNER: Begrüßung durch die Vorsitzende der Kommission für Ökologie 11
Wolfgang W. WEISSER: Was ist Erfolg im Naturschutz? Einführung in das Rundgespräch 13-15
David GIBBONS: The role of science in saving species 17-27
Discussion 28-29
Gewinner und Verlierer in der bayerischen Flora und Fauna in den letzten 50 Jahren
Johannes KOLLMANN und Christian BRÄUCHLER: Höhere Pflanzen 31-40
Diskussion 41
Heike FELDHAAR: Insekten 43-52
Diskussion 52
Jürgen GEIST: Aquatische Organismen 53-66
Diskussion 66
Josef H. REICHHOLF: Terrestrische Wirbeltiere 67-79
Diskussion 80
Welche Gründe verbergen sich hinter den Zu- und Abnahmen der Artenhäufigkeiten? Diskussionsrunde 81-92
Jan Christian HABEL: Rote Listen und »Fauna-Flora-Habitat«-Arten – Wie wählen wir Arten für den Naturschutz aus? 93-100
Diskussion 101-102
Wissenschaft und Naturschutz im Dialog
Willy ZAHLHEIMER: Was braucht die Naturschutzverwaltung von der Wissenschaft? 103-115
Diskussion 116
Wolfgang HABER: Entwicklungen des Naturschutzes und des Artenschutzes 117-133
Diskussion 134-135
Hugh POSSINGHAM: How to make biological conservation a success 137-142
Wie viel Wissenschaft braucht der Naturschutz? Abschließende Diskussion 143-149
Zusammenfassung des Rundgesprächs 151-152
Verzeichnis der Organismen(gruppen) 153-154
Schlagwortverzeichnis 155-159
David GIBBONS:
Zur Rolle der Wissenschaft im Artenschutz
[Seite 17-27, 9 Farb- und 4 s/w-Abbildungen]
Während es die Aufgabe des angewandten Naturschutzes ist, Probleme im Arten- und Naturschutz erfolgreich zu lösen, besteht die Aufgabe der Wissenschaft darin, die Probleme a) zu identifizieren, b) Prioritäten zu setzen, c) ihre Ursachen zu erforschen und d) Lösungsmöglichkeiten zu finden. In dem Beitrag werden diese vier Schritte anhand von Beispielen erläutert. Ohne die Beteiligung der Wissenschaft fehlen der Praxis die Entscheidungsgrundlagen, was in der Regel zu falschen Entscheidungen führt.
Am Beispiel des Kuckucks, einem Langstreckenzieher, wird gezeigt, wie Wissenschaftler aktuelle Probleme im Naturschutz identifizieren und künftige, die sich z.B. im Zuge einer Klimaerwärmung voraussichtlich ergeben werden, vorhersagen. Um begrenzte Ressourcen (vor allem Geldmittel) zu sparen, müssen dabei vorrangige Schutzziele definiert werden. Zur anschließenden Ursachenforschung – meist die Voraussetzung für die Erarbeitung von Lösungsvorschlägen – stehen verschiedene wissenschaftliche Methoden zur Verfügung, z.B. der Vergleich von Zeitreihen oder von Habitaten unter Verwendung vorhandener Monitoringdatensätze. Ist eine mögliche Lösung gefunden, müssen Wissenschaftler diese an die Politik und die (Naturschutz-)Verwaltung herantragen, damit sie in der Praxis umgesetzt werden kann. Für diesen Schritt sind effektive Kommunikationsstrukturen unerlässlich. Die Erfahrungen in der Praxis wiederum fließen idealerweise in die Wissenschaft zurück und führen so zu einer steten Optimierung des eingeschlagenen Lösungsweges. Da Forschung teuer und zeitaufwändig ist, besteht die Gefahr, dass in der Praxis einer oder mehrere dieser Schritte umgangen werden. Welche Auswirkungen mangelnde Ursachenforschung haben kann, wird am Beispiel des Quendel-Ameisenbläulings gezeigt, einer Schmetterlingsart, die eng mit einer bestimmten Ameisenart vergesellschaftet ist.
Johannes KOLLMANN und Christian BRÄUCHLER:
Gewinner und Verlierer in der bayerischen Flora und Fauna in den letzten 50 Jahren: Höhere Pflanzen
[Seite 31-40, 2 Farb- und 1 s/w-Abbildungen]
Die bayerische Flora ist in ständiger Veränderung begriffen, die von wechselnden ökologischen Rahmenbedingungen und sozio-ökonomischen Entwicklungen bestimmt wird. So ist die Entstehung unserer Kulturlandschaft historisch vor allem durch agrarische Nutzung geprägt, die mit ihrer extensiven und kleinräumigen Bewirtschaftung zu einem reich strukturierten Landschaftsbild und einer zum Teil sehr hohen Biodiversität beigetragen hat. Eine Verarmung der Landschaft, und damit der bayerischen Flora, ist seit der Trennung von land- und forstwirtschaftlicher Nutzung zu beobachten, weiter beschleunigt durch Flurbereinigung, Aufforstung, Grünlandbrache sowie zunehmende Intensivierung der Landnutzung. Zu den Verlierern dieser Entwicklungen gehören Pflanzenarten nährstoffarmer Standorte mit einer sauren oder basischen Bodenreaktion sowie Arten der Feuchtgebiete. Arten, die schon früh durch den Menschen eingeschleppt wurden, wie viele Ackerwildkräuter, gehen zurück, während sich einige Neophyten als invasive Fremdarten ausbreiten, Habitatspezialisten unterdrücken und damit zu den Gewinnern zählen. Als Reaktion auf negative Veränderung des Landschaftsbildes und der Artenvielfalt hat sich seit Beginn des 20. Jahrhunderts der Naturschutz entwickelt und damit zu einer Trennung in Nutz- und Schutzgebiete geführt. Da ein großer Teil der mitteleuropäischen Artenvielfalt von historischen Landnutzungspraktiken abhängt, erweist sich ein reiner Reservatansatz aber oft als unzulänglich. Moderne Methoden des Naturschutzes, wie in einigen der Artenhilfsprogramme Bayerns angewandt, verbinden Nutzung und Schutz. Die Wiederherstellung der Biodiversität ist auch das Ziel vieler Projekte der ökologischen Renaturierung. Neue Forschungsergebnisse zeigen für konkrete Arten und Ökosysteme, wie sich veränderte Bewirtschaftungsmethoden und verbesserte Landschaftsstrukturen positiv auf die bayerische Flora und darüber hinaus auswirken. Der vorliegende Artikel fasst wesentliche Entwicklungen in der jüngeren Geschichte der pflanzlichen Biodiversität in Bayern zusammen und legt konkrete Empfehlungen für den Schutz und die Renaturierung bedrohter Pflanzenarten und Ökosysteme vor.
Heike FELDHAAR:
Gewinner und Verlierer in der bayerischen Flora und Fauna in den letzten 50 Jahren: Insekten
[Seite 43-52, 7 Farbabbildungen]
Ungefähr die Hälfte der Insektenarten Bayerns gilt aktuell als gefährdet oder potenziell bedroht. Vor allem extrinsische Faktoren wie Habitatverlust und -fragmentierung oder die Ausbringung von Pestiziden haben zu einem Rückgang der Biodiversität aller Insektengruppen geführt. Intrinsische Faktoren wie z.B. Reproduktionsrate, Ausbreitungsfähigkeit und Breite der genutzten Nische bedingen die Anfälligkeit von Arten, lokal auszusterben, und ermöglichen eine Vorhersage, welche Arten besonders bedroht sein sollten. Der Rückgang an Arten und die Homogenisierung von Artengemeinschaften scheinen sich allerdings nicht mehr so schnell fortzusetzen wie im Zeitraum vor 25 bis 50 Jahren. Während hinsichtlich ihrer Nahrung oder ihrer Habitatansprüche eher generalistische Arten teilweise zunehmen, gehen besonders Spezialisten verloren. Vor allem wirtschaftlich wichtige Gruppen, wie Pollinatoren, die hauptsächlich Hymenopteren- und Dipterengruppen sowie Schmetterlinge umfassen, sind relativ gut untersucht hinsichtlich der Faktoren, die zu einer Verarmung bzw. Verschiebung der Artengemeinschaften geführt haben. Die zunehmende Intensivierung der Landnutzung und der Verlust bestimmter Kulturlandschaften, wie etwa extensiv beweideter Magerrasen, führen direkt oder indirekt über den Rückgang der Vielfalt an Blütenpflanzen zu deren Rückgang. Studien auf europäischer Ebene deuten darauf hin, dass Wildbienen generell eher zu den Verlierern gehören, wohingegen Schwebfliegen, die häufig weniger stark auf bestimmte Pflanzen und Habitate spezialisiert sind, wenig anfällig sind oder sogar profitieren.
Eine bessere Charakterisierung der für den Rückgang von Arten entscheidenden Faktoren durch die Wissenschaft ermöglicht die Entwicklung effektiverer Schutzkonzepte, wie beispielsweise den Schutz xylobionter Insekten durch die Entwicklung und Erprobung integrativer Nutzungs- und Artenschutzkonzepte in Wäldern.
Jürgen GEIST:
Gewinner und Verlierer in der bayerischen Flora und Fauna in den letzten 50 Jahren: Aquatische Organismen
[Seite 53-66, 8 Farbabbildungen, 1 Tabelle]
Die Struktur und Qualität bayerischer Gewässerökosysteme unterlag in den letzten Jahrzehnten starken Veränderungen. Viele ursprünglich nährstoffarme (oligotrophe) Seen sind nach einer Phase der starken Eutrophierung inzwischen wieder nahe dem natürlichen Zustand. Fließgewässer, die durch menschliche Eingriffe besonders starken strukturellen Veränderungen unterliegen, werden zunehmend renaturiert. Dennoch setzt sich der Trend des Rückgangs vieler aquatischer Arten, insbesondere der strömungsliebenden Spezialisten in Fließgewässern, ungebrochen fort. In diesem Beitrag werden anhand konkreter Beispiele die Faktoren erörtert, die zum Rückgang bzw. zur Ausbreitung aquatischer Arten beitragen. Oftmals führt das Zusammenspiel deterministischer Faktoren und stochastischer Prozesse zu einem Aussterbestrudel, von dem sich Populationen und Arten bei zu geringen Dichten nicht mehr selbst erholen können (Allee-Effekte). In Gewässerökosystemen sind besonders die Faktoren Übernutzung, Verschmutzung, Habitatveränderung und -fragmentierung sowie Veränderungen im Abflussregime, die Ausbreitung von invasiven Arten und der Klimawandel für den Rückgang der Biodiversität verantwortlich.
Global unterliegen aquatische Ökosysteme einem starken Wandel ihrer Biozönosen und vielerorts entstehen neuartige Lebensgemeinschaften mit einem hohen Anteil von Generalisten, in denen ursprünglich heimische Arten durch gebietsfremde »Aliens« ersetzt werden. Effektive Schutzstrategien beruhen oftmals auf dem Versuch der statischen Wiederherstellung von Referenzzuständen, die der reellen Situation nur teilweise gerecht werden.
Josef H. REICHHOLF:
Gewinner und Verlierer in der bayerischen Flora und Fauna in den letzten 50 Jahren: Terrestrische Wirbeltiere
[Seite 67-79, 11 Farb- und 2 s/w-Abbildungen, 1 Tabelle]
In der Entwicklung von Vorkommen und Häufigkeit der Säugetiere, Vögel und Reptilien in den letzten 50 Jahren sind für Deutschland vier klare Trends und ein markantes geografisches Muster zu erkennen:
Große (jagdbare) Säugetier- und Vogelarten nahmen in ihrer Häufigkeit zu, bei manchen verbunden mit einer starken Ausbreitung.Die Bestände kleiner, das »Land« bewohnender Arten nahmen stark ab.Arten der Wälder und Städte hielten in etwa ihr Bestandsniveau.Das Spektrum der Arten, die an Gewässern leben, wurde größer, aber die Bestände gingen insgesamt zurück.Die spektakulären Zunahmen bei Großvögeln, wie See- und Fischadlern oder Kranichen, und das Comeback der Wölfe beziehen sich geografisch eindeutig auf Ostdeutschland, die ehemalige DDR. Der »Eiserne Vorhang« wirkt nach wie vor als Grenzgebiet für eine Ausbreitung dieser Arten nach Westen und Süden.
Die mit Abstand größten Artenrückgänge verursacht die Landwirtschaft durch Verlust von Strukturvielfalt und Überdüngung. Diese führten zu einem massiven Rückgang von Insekten und entzogen damit vielen Vogelarten und Fledermäusen die Nahrungsgrundlage. Der Naturschutz war, von Einzelfällen abgesehen, bei den nicht jagdbaren Arten weitgehend wirkungslos. Die Verminderung des Einsatzes von Gift(ködern) kann bei Greifvögeln und Raubtieren ein Hauptgrund für ihre Wiedererholung gewesen sein. Die größten Verluste unter den Landwirbeltieren erlitten in den letzten Jahrzehnten die Reptilien.
Jan Christian HABEL:
Rote Listen und »Fauna-Flora-Habitat«-Arten – Wie wählen wir Arten für den Naturschutz aus?
[Seite 93-100, 2 Farb- und 4 s/w-Abbildungen]
Naturschutz hat meist wenig mit naturwissenschaftlicher Objektivität zu tun. Dies wird besonders deutlich, wenn wir uns mit der Verbreitungssituation und der Ökologie der Arten aus den Anhängen der FFH-Richtlinie oder den Rote-Liste-Arten beschäftigen. Zahlreiche Arten, die hier im Fokus des Naturschutzes stehen und für die dadurch eine Inanspruchnahme von (finanziellen) Ressourcen erfolgt, sind aus biogeografischer Sicht häufig von untergeordneter Relevanz für Deutschland oder sogar für ganz Europa. Zahlreiche dieser Arten existieren in kleinen, isolierten Reliktpopulationen, am westlichen Rand der Paläarktis, und haben ihr Hauptverbreitungsgebiet weiter im Osten. Durch ihr disjunktes Auftreten in geringer Abundanz erscheinen sie uns jedoch häufig als besonders und daher schützenswert. Allerdings sollten gerade solche Arten aus naturwissenschaftlicher Sicht eine eher untergeordnete Rolle in der Prioritätensetzung des Naturschutzes spielen. Gleichzeitig findet durch globale Veränderungen derzeit eine rasante Verschiebung von Verbreitungsarealen und ganzen Artengemeinschaften statt – wodurch vielleicht gerade solche Reliktpopulationen wieder in das Zentrum zukünftiger Ausbreitungsdynamik treten könnten. Dieses Spannungsfeld zwischen subjektiver Liebhaberei und objektiven Fakten, vor dem Hintergrund globaler Veränderungen, ist Inhalt dieses Beitrages.
Willy ZAHLHEIMER:
Was braucht die Naturschutzverwaltung von der Wissenschaft?
[Seite 103-115, 5 Farbabbildungen]
Mit wissenschaftlichen Methoden gewonnene Daten und Erkenntnisse bilden eine Hauptsäule der naturschutzfachlichen Arbeit. Innerhalb der in den verschiedenen Naturschutzbehörden etablierten Naturschutzverwaltungen sind die Adressaten und Verwerter wissenschaftlicher Informationen die so genannten Naturschutzfachkräfte.
Die grundlegende Frage, welche Natur wir wie bewahren oder entwickeln wollen, wird für den »Behörden-Naturschützer« durch das Naturschutzrecht beantwortet, besonders durch die Paragraphen des Bundesnaturschutzgesetzes. Soweit der Arten- und Biotopschutz betroffen sind, steckt §1 Abs. 2 die Ziele ab.
Die unzureichende personelle Ausstattung der Naturschutzverwaltung zwingt die Fachkraft dazu, »Außendienste« zu minimieren und viele »Vorgänge« am Schreibtisch abzuarbeiten. Die amtliche Biotopkartierung und die Artenschutzkartierung sind dafür entscheidende Grundlagen. Beide sind aber in hohem Maße defizitär. Für den Artenschutz definiert §1 Abs. 2 Ziff. 1 Bundesnaturschutzgesetz ein sehr anspruchsvolles Programm, das durch Ziele der Bayerischen Biodiversitätsstrategie bzw. des Bayerischen Biodiversitätsprogramms noch überboten wird. Ihre Umsetzung würde artspezifische Stützgerüste miteinander kommunizierender Populationen erfordern, außerdem spielt in diesem Zusammenhang das Thema »Wiederansiedlung« eine zunehmende Rolle. Auf diesen wie auch nahezu allen weiteren Feldern des Naturschutzes fehlt es aber an den notwendigen wissenschaftlichen Detailinformationen. Bei neuartigen Herausforderungen und den zahllosen Eingriffsvorhaben sieht es mit der wissenschaftlichen Unterstützung oft nicht besser aus.
Zu Naturschutzthemen besteht ein immenser Forschungsbedarf. Doch selbst die wichtigsten unter den bereits unüberschaubar vielen Ergebnissen naturschutzrelevanter Forschung erreichen den Praktiker vor Ort vielfach nicht. Kompakte, praxisorientierte Information in den wenigen behördenüblichen Medien könnte dem abhelfen. Ein regelmäßiger behördenweiser Austausch zwischen den Naturschutzfachkräften und Wissenschaftlern sollte in beider Interesse liegen.
Wolfgang HABER:
Entwicklungen des Naturschutzes und des Artenschutzes
[Seite 117-133, 5 Farb- und 3 s/w-Abbildungen]
Um zu leben, nutzt jedes Lebewesen die Natur und schützt sich zugleich vor ihren Bedrohungen. Beide biologischen Antriebe hat der Mensch intellektuell verstärkt und damit eine »Kultur« genannte Sonder-Umwelt in der Natur entwickelt, die in der naturfremden Stadt ihren Höhepunkt erreichte. Erst dort entstand der Naturschutz, doch sein Widerspruch zu jenen beiden lebensnotwendigen Antrieben bewirkt ein Paradox mit ständigen Konflikten. Umfangreiche gesetzliche Vorschriften versuchen zusammen mit gesellschaftlichem Engagement, unterstützt durch die Ökologie, das Paradox zu überwinden, konnten aber dem Naturschutz niemals politische Priorität verschaffen. Die Vielfalt von Natur und Leben zeigt sich in wechselnden Naturschutzzielen, unter denen der Artenschutz derzeit Vorrang hat, sich aber wiederum in der Artenvielfalt verliert. Doch die Vielfalt der Natur bietet, ökologisch richtig verstanden, auch die Grundlage für eine zukunftsweisende Naturschutzpolitik. Sie muss von den von Natur gegebenen Standortsbedingungen ausgehen und danach die Prioritäten für Nutzung oder Schutz differenziert festlegen.
Hugh POSSINGHAM:
Wie wird Naturschutz zum Erfolg?
[Seite 137-142, 2 Tabellen]
In dem Beitrag werden einige der Forschungsarbeiten, die in den letzten 15 Jahren an unseren Naturschutzzentren durchgeführt worden sind, und die durch sie auf politischer Ebene und in der Praxis erzielten Ergebnisse vorgestellt, sowohl national als auch international.
(1) Um Schutzmaßnahmen zu priorisieren und Arten für den Schutz auszuwählen, haben wir einen Kosten-Effektivitäts-Ansatz entwickelt, der vor kurzem von zwei Ländern übernommen worden ist. Es stellt sich die Frage, warum dieser Ansatz weltweit nicht öfter genutzt wird. (2) Das Instrument Marxan wurde von uns entwickelt, um marine und terrestrische Schutzgebiete optimal zu vernetzen (http://en.wikipedia.org/wiki/Marxan). Neben der Neuzonierung des Great Barrier Reefs Anfang unseres Jahrhunderts werden anhand nationaler und globaler Projekte weitere Vorteile, aber auch mögliche Fallstricke bei der Anwendung von Marxan erläutert. Mittlerweile wird Marxan in über 140 Ländern zur Raumplanung verwendet. (3) Schließlich werde ich der Frage nachgehen, wie viel und warum wir im Naturschutz in Monitoringprogramme investieren sollten. Wieso ist es so schwierig, einen logischen, auf Mathematik basierten Ansatz für Monitoring durchzusetzen – oder ist dies schlicht eine Frage der Zeit? Letztlich dient unsere gesamte Arbeit einem erfolgreichen und effizienten Naturschutz; dennoch ist der Weg zu ihrer Akzeptanz mühsam und schleppend.
Zwei Schlüsselfaktoren bestimmen die erfolgreiche Umsetzung der von uns erzielten Ergebnisse in die Praxis. Zum einen arbeiten wie eng mit der Regierung zusammen, nicht nur bei der Vermittlung der Ergebnisse, sondern auch in Bezug auf die Identifizierung von Problemen im Naturschutz, die wir gemeinsam mit unseren Partnern vornehmen. Diese enge Zusammenarbeit aufzubauen kostet ein Fünftel meiner Arbeitszeit und bedarf des gegenseitigen Respekts und sorgfältiger Abwägungen – und kann frustrierend sein. Belohnt wird sie jedoch u.a. durch 50 Millionen Dollar für die angewandte Forschung und durch den erfolgreichen Schutz der Biodiversität. Zum anderen verbinden wir Grundlagenforschung mit Hilfsmitteln zur wissenschaftlichen Entscheidungsfindung (decision science tools). Ohne diese und ohne die richtige Formulierung der zu lösenden Probleme würde unsere Arbeit ihren Bezug zu den sozialen und wirtschaftlichen Zwängen verlieren: Kosten und Machbarkeit von Naturschutzmaßnahmen und Naturschutzpolitik sind ein unabdingbarer Bestandteil bei der Umsetzung wissenschaftlicher Ergebnisse in die Praxis.
In den letzten 50 Jahren ist der Naturschutz, und hier insbesondere der Artenschutz, zunehmend in der Gesetzgebung verankert worden. Trotz aller Schutzanstrengungen nimmt die Zahl der gefährdeten oder vom Aussterben bedrohten Pflanzen- und Tierarten jedoch weiter zu. Warum ist dies so? Gibt es Schwachstellen in der Gesetzgebung oder in der Praxis? Wo liegen die Gründe für gescheiterte oder uneffektive Maßnahmen? Welche Rolle spielt der Naturschutz, wenn eine Art wieder häufiger wird?
Ausgehend von diesen Fragen beleuchtet das vorliegende Buch die Rolle der Wissenschaft für den Naturschutz. Es will aufzeigen, wo Forschungslücken bestehen, wie Artenschutz- und Naturschutzmaßnahmen wissenschaftlich besser als bisher begleitet werden können und wie der Informationsaustausch zwischen Wissenschaft und der Naturschutzpraxis in den zuständigen Fachbehörden verbessert werden kann. Darüber hinaus werden wissenschaftliche Methoden zur Findung von Schlüsselfaktoren für bedrohte Arten und eine biogeografische Analyse der heute in Deutschland am strengsten geschützten Arten vorgestellt. Eine Betrachtung der historischen Entwicklung des Naturschutzes in Deutschland und ein Beitrag zur Entscheidungsfindung im Naturschutz in Australien runden das Thema ab.
Der Band enthält die überarbeiteten Vorträge und Diskussionen der gleichnamigen Fachtagung im Mai 2015, ergänzt mit einem Schlagwort- und einem Artenverzeichnis. Die wichtigsten Anregungen und Vorschläge zur Verbesserung der Kommunikation und der Zusammenarbeit zwischen Naturschutzpraxis und Wissenschaft sind auf den Seiten 151-152 zusammengestellt. Wir hoffen, dass die Kommission für Ökologie der Bayerischen Akademie der Wissenschaften mit ihrem damaligen Rundgespräch und dem jetzt vorliegenden Band zu einer Förderung des Dialogs zwischen Wissenschaft und behördlichem Naturschutz beiträgt.
Mit diesem Band schließt sich in doppelter Weise ein Kreis. Zum einen kam die Anregung für das Rundgespräch von Herrn MD i.R. Professor Dr. Werner Buchner, der 1985, also vor 30 Jahren, als Amtschef im damaligen Staatsministerium für Landesentwicklung und Umweltfragen die Initiative für die Gründung dieser Kommission gegeben hat und sich in den Folgejahren erfolgreich für ihre feste Einrichtung an der Bayerischen Akademie der Wissenschaften eingesetzt hat. Zum anderen greift der Band an vielen Stellen das erste in der Reihe »Rundgespräch der Kommission für Ökologie« publizierte Thema auf: »Welche Natur wollen wir schützen?« – so der Titel von Band 1 im Jahr 1990.
Gleichzeitig ist der Band ein Neubeginn, erscheint er doch mit einem intensiv überarbeiteten Layout und unter dem neuen Reihentitel »Rundgespräche Forum Ökologie«. Anlass für diesen Schritt war die Strukturreform der Bayerischen Akademie der Wissenschaften im Oktober 2015, die unter anderem zu einer Umbildung der bisherigen Kommissionen in einzelne Forschungsprojekte und Gesprächsforen geführt hat, ein Prozess, der noch einige Zeit andauern wird.
Das Ziel der Reihe ist jedoch unverändert geblieben: ökologische Fragestellungen und Probleme einer interessierten Leserschaft, Fachleute wie Laien, näherzubringen und dabei den aktuellen Forschungsstand aufzuzeigen. Unser Dank gilt allen, die zum Entstehen des Buches beigetragen haben, allen voran der Referentin und den Referenten des Rundgesprächs für ihre damaligen Vorträge und die Ausarbeitung der schriftlichen Beiträge sowie Frau Dr. Deigele für die Erstellung der Transkripte und die umfangreichen redaktionellen Arbeiten.
München, im Dezember 2015
Susanne RENNER (Vorsitzende der Kommission für Ökologie)
Wolfgang W. WEISSER (Organisator des Rundgesprächs)
Vortragende (*) und Diskussionsteilnehmer
Boye, Peter, Dr., Bayerisches Staatsministerium für Umwelt und Verbraucherschutz, Referat Naturhaushalt und Biodiversität, München
Bresinsky, Andreas, Prof. em. Dr., vormals Institut für Botanik, Universität Regensburg; Sinzing
Buchner, Werner, Prof. Dr. jur., MD i.R. im Bayerischen Umweltministerium; Pullach im Isartal
Fackler, Richard, Dr., Bayerisches Landesamt für Umwelt, Vizepräsident, Hof/Saale
* Feldhaar, Heike, Prof. Dr., Universität Bayreuth, Lehrstuhl für Tierökologie I, Bayreuth
Franke, Nils M., Dr. habil., Bundesverband Beruflicher Naturschutz in Sachsen; Wissenschaftliches Büro Leipzig, Leipzig
* Geist, Jürgen, Technische Universität München, Lehrstuhl für Aquatische Systembiologie, Wissenschaftszentrum Weihenstephan, Freising
* Gibbons, David, Dr., RSPB Centre for Conservation Science, Royal Society for the Protection of Birds, Bedfordshire, UK
Gschlößl, Tanja, Prof. Dr., Bayerisches Staatsministerium für Umwelt und Verbraucherschutz, Referat Klimapolitik, Klimaforschung, München
* Habel, Jan C., Priv.-Doz. Dr., Technische Universität München, Lehrstuhl für Terrestrische Ökologie, Wissenschaftszentrum Weihenstephan, Freising
* Haber, Wolfgang, Prof. em. Dr. Dr. h.c., vormals Technische Universität München, Lehrstuhl für Terrestrische Ökologie, Freising
Herm, Dietrich, Prof. em. Dr., vormals Leiter der Bayerischen Staatssammlung für Paläontologie und Geologie; Pullach
Hölzinger, Michael, Dr., DB Netz AG, Referent für Naturschutz, Artenschutz und Energiemanagement, Klimaschutz und Anpassung an den Klimawandel, Frankfurt a. Main
Hoppe, Brigitte, Prof. i.R. Dr., an der Ludwig-Maximilians-Universität München, Geschichte der Naturwissenschaften; München
* Kollmann, Johannes, Prof. Dr., Technische Universität München, Lehrstuhl für Renaturierungsökologie, Wissenschaftszentrum Weihenstephan, Freising
Magerl, Christian, MdL Dr., Bayerischer Landtag, Vorsitzender des Ausschusses für Umwelt und Verbraucherschutz, München
Matern, Mine, Prof. Dr., München
Mayr, Christoph, Dr., Bayerisches Landesamt für Umwelt, Referat für Fisch- und Gewässerökologie, Dienststelle Wielenbach, Wielenbach
Mosandl, Reinhard, Prof. Dr., Technische Universität München, Lehrstuhl für Waldbau, Freising
Pasch, Dieter, Dipl.-Ing., Direktor Bayerische Akademie für Naturschutz und Landschaftspflege (ANL), Laufen a.d. Salzach
* Possingham, Hugh, Prof. Dr., ARC Centre of Excellence for Environmental Decisions, University of Queensland, St. Lucia, QLD, Australien
Quinger, Burkhard, freiberuflicher Gutachter, Herrsching
Raddatz, Daniel, Ministerium für Ländlichen Raum und Verbraucherschutz Baden-Württemberg, Referat für Grundsatzfragen des Naturschutzes, Stuttgart
* Reichholf, Josef H., Prof. i.R. Dr., vormals Zoologische Staatssammlung München; Neuötting
Renner, Susanne, Prof. Dr., Ludwig-Maximilians-Universität München, Systematische Botanik und Mykologie, München
Schäffer, Norbert, Dr., Landesbund für Vogelschutz in Bayern e.V., Erster Vorsitzender, Landesgeschäftsstelle, Hilpoltstein
Siebeck, Otto, apl. Prof. i.R. Dr., vormals Limnologische Forschungsstation Seeon; pBad Endorf
Sothmann, Ludwig, Landesbund für Vogelschutz in Bayern e.V., Ehrenvorsitzender, Landesgeschäftsstelle, Hilpoltstein
Stöcklein, Bernd, Prof. Dr., Hochschule Weihenstephan-Triesdorf, Zoologie/Tierökologie, Freising
* Weisser, Wolfgang W., Prof. Dr., Technische Universität München, Lehrstuhl für Terrestrische Ökologie, Wissenschaftszentrum Weihenstephan, Freising
Winkler, Claudia, DB Netz AG, Regionalbereich Mitte, Beauftragte für Umweltschutz, Frankfurt
* Zahlheimer, Willy, Dr., bis 2014 Regierung von Niederbayern, Sachgebiet Fachfragen Naturschutz; Passau
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