Bayerische Akademie der Wissenschaften (Herausgeber)
Katastrophe oder Chance? Hochwasser und Ökologie
Rundgespräche der Kommission für Ökologie Bd. 24
Rundgespräch am 22. Oktober 2001 in München
2002. [Deutsch] - 167 Seiten, 19 Farb- und 59 SW-Abbildungen, 19 Tabellen.
24 x 17 cm. Paperback
ISBN: 978-3-89937-002-7
Noch nie war einer der Berichtbände der Kommission für Ökologie der Bayerischen Akademie der Wissenschaften so aktuell wie der vor kurzem erschienene Band 24 mit dem Titel »Katastrophe oder Chance? Hochwasser und Ökologie« – auch wenn die neuesten Daten von dem Sommerhochwasser 2002 noch nicht ausgewertet und daher auch noch nicht in dem Buch enthalten sind.
Der Grundgedanke des gleichnamigen Rundgesprächs der Kommission für Ökologie im Herbst 2001 war, auch einmal die »andere Seite« von Hochwässern aufzuzeigen: Während für Menschen, die die flussnahen Bereiche als Siedlungsgebiete oder landwirtschaftlich nutzen, Hochwässer ein enormes Gefährdungspotenzial darstellen – wie die katastrophalen Ereignisse vom Sommer 2002 an Donau und Elbe und ihren Nebenflüssen gezeigt haben –, sind flussnahe Auenlandschaften in ihrer Ökologie auf regelmäßige Überschwemmungen und Hochwässer angewiesen. Für die Fauna und Flora dieser Ökosysteme kann Hochwasser durchaus eine »Chance« bedeuten. Die Zerstörung dieser Auenlandschaften und damit natürlicher Retentionsräume in den vergangenen Jahrzehnten hat die Hochwässer vielerorts noch verstärkt. Aber wie soll heute ein Hochwasserschutz aussehen, der beiden Aspekten, d.h. sowohl der Ökologie flussnaher Landschaften als auch den Gefährdungen und Ängsten der dort lebenden Menschen gerecht wird?
Das nun vorliegende Buch nähert sich diesem vielseitigen und ökologisch so wichtigen Spannungsfeld von ganz verschiedenen Seiten. In 11 Vorträgen werden die unterschiedlichsten Fragenkomplexe behandelt; die an die einzelnen Kapitel anschließenden Diskussionen sowie die Abschlussdiskussion spiegeln dabei die oft unterschiedlichen Expertenmeinungen zu den Themen wider.
Organisation: Prof. Dr. Dr. h.c. Horst HAGEDORN
Referenten: Horst HAGEDORN, Rüdiger GLASER, Ulrich EBEL, Klement TOCKNER, Ludwig BRAUN, Karl AUERSWALD, Franz VALENTIN, Ulrike PFARR, Hermann JERZ, Jens AMENDT, Peter JÜRGING, Josef H. REICHHOLF
Verzeichnis der Vortragenden und der Diskussionsteilnehmer am Rundgespräch 7
Vorwort 9
Begrüßung durch den Präsidenten der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Herrn Prof. Dr. Dr. h.c. mult. Heinrich NÖTH 11
Horst HAGEDORN: Einführung in das Rundgespräch 13
Rüdiger GLASER, Jucundus JACOBEIT, Mathias DEUTSCH & Heiko STANGL: Hochwässer als historisches Phänomen 15
Diskussion 30
Ulrich EBEL: Schäden durch Hochwasser in heutiger Zeit 31
Diskussion 35
Klement TOCKNER, Achim PAETZOLD & Ute KARAUS: Leben in der Flussdynamik zwischen Trockenfallen und Hochwasser 37
Ludwig BRAUN & Markus WEBER: Droht im nächsten Sommer Hochwasser vom Gletscher? 47
Diskussion 65
Karl AUERSWALD: Landnutzung und Hochwasser 67
Diskussion 75
Franz VALENTIN: Naturnahe Gestaltung von Gewässern – Wunschvorstellungen und Realität 77
Diskussion 83
Ulrike PFARR: Ökologische Seite eines modernen Hochwasserschutzes am Beispiel des Integrierten Rhein-Programms Baden-Württemberg 85
Diskussion 93
Hermann JERZ & Michael PETERS: Flussdynamik der Donau bei Ingolstadt in vorgeschichtlicher, geschichtlicher und heutiger Zeit, mit Ergebnissen zur Landschafts- und Vegetationsentwicklung 95
Diskussion 108
Emil DISTER: Auenentwicklung vor/nach der Flussregulierung (Zusammenfassung) 109
Diskussion 110
Jens-Peter KOPELKE & Jens AMENDT: Gallen erzeugende Insekten im Ökosystem Aue 113
Diskussion 130
Peter JÜRGING: Die Bedeutung von Hochwasser für die Renaturierung der Flusslandschaft Isar 131
Diskussion 143
Josef H. REICHHOLF: Verlandungsdynamik und Hochwässer am unteren Inn: Auswirkungen auf die Ökologie von Fluss-Stauseen 145
Diskussion 158
Horst HAGEDORN: Zusammenfassung 161
Abschlussdiskussion 163
Rüdiger GLASER, Jucundus JACOBEIT, Mathias DEUTSCH und Heiko STANGL:
Hochwässer als historisches Phänomen
[S. 15-29]
Im vorliegenden Beitrag werden die Potenziale historischer Hochwässer vorgestellt. Wer sich mit derartigen Daten beschäftigt, wird mit unterschiedlichen Facetten wie Quellenkritik, aber auch Fluss- und Landschaftsveränderungen oder der sozialen Dimension konfrontiert. Die verschiedenen Aspekte lassen sich schließlich nur über ein integratives Vorgehen historischer und naturwissenschaftlicher Methoden auswerten. Anhand ausgewählter Zeitreihen wird die langfristige Hochwasserdynamik in Mitteleuropa vorgestellt. Neben herausragenden Einzelereignissen traten immer wieder hochwasserreiche, dann aber auch wieder hochwasserärmere Phasen auf.
Darüber hinaus wurden großskalige Zirkulationsanalysen durchgeführt, aus denen plausible hochwasserbegünstigende Druckmuster sowie charakteristische Zirkulationsveränderungen gegenüber hochwasserfreien Zeitabschnitten abgeleitet werden konnten. Offenbar bestehen also Zusammenhänge zwischen dem übergeordneten Zirkulationsregime in der Atmosphäre und dem regionalen Auftreten hydrologischer Extremereignisse.
Ulrich EBEL:
Schäden durch Hochwasser in heutiger Zeit
[S. 31-34]
Im Vergleich zu anderen Naturgefahren wie z.B. Sturm- oder Erdbebengefährdung, wo wenig technische Vorkehrungen der Schadenabwehr oder der Vorhersage möglich sind, unterliegt der Schadensprozess bei der Naturgefahr Hochwasser vielfältigen Einflussmöglichkeiten der beteiligten Akteure, die aber eine Quantifizierung des Gefährdungspotenzials deutlich erschweren. Die Hochwassergefährdung unterliegt daneben auch starken geografischen und zeitlichen Schwankungen; sehr lange historische Zeitreihen geben zwar Hinweise zur Gefährdungseinschätzung, aber es ist selten möglich, diese Erkenntnisse auf die gegenwärtige Hochwassersituation zu übertragen. Umso wichtiger ist es für die Versicherer, dass sie Werkzeuge besitzen, um ihre Produkte veränderten Rahmenbedingungen rasch anpassen zu können. Die Versicherungswirtschaft ist bereit, im Rahmen ihrer Möglichkeiten einen Beitrag zur Risikobewältigung zu leisten, es bedarf jedoch eines gemeinsamen Vorgehens aller Akteure, um ein optimales Ergebnis zu erzielen.
Klement TOCKNER, Achim PAETZOLD und Ute KARAUS:
Leben in der Flussdynamik zwischen Trockenfallen und Hochwasser
[S. 37-46]
In Flussauen schafft der ständige Wechsel zwischen Austrocknung und Überflutung ein dynamisches Mosaik an Lebensräumen mit einer vielfältigen terrestrischen, amphibischen und aquatischen Lebensgemeinschaft. Die Lebensräume Gewässerufer und Schwemmgut (Totholz, Blätter, etc.), die in ihrer Entwicklung eng an die Abflussdynamik gekoppelt sind, werden als sensible Indikatoren der ökologischen Integrität von Flusslandschaften behandelt. Schwemmgut dient einerseits als energetisches Vernetzungsglied zwischen Land und Wasser, andererseits als dynamisches Ausbreitungs- und Etablierungsmedium für Fauna und Flora. Durch die Entnahme des Schwemmgutes bei Kraftwerksanlagen wird massiv in den ökologischen Haushalt der Fließgewässer eingegriffen. Im Grenzbereich zwischen Wasser und Land, der unmittelbaren Uferzone, besteht ein intensiver Austausch an Material und Information. Ein kritisches Maß für die ökologische Stabilität von Fließgewässern ist die wechselnde Verfügbarkeit und Nutzung von Refugien entlang eines Flusslaufes. Die Revitalisierung von Fließgewässern muss großräumig erfolgen um ein Mindestmaß an störungsbedingter Dynamik zu ermöglichen. Lebensräume außerhalb des unmittelbaren Gewässerbereiches und die Zuflüsse sind einzubeziehen.
Ludwig BRAUN und Markus WEBER:
Droht im nächsten Sommer Hochwasser vom Gletscher?
[S. 47-65]
Hochwässer aus vergletscherten Hochgebirgsregionen werden hervorgerufen durch das plötzliche Entleeren von eisgestauten Seen oder Wassertaschen oder aber durch das schnelle Abfließen von Starkniederschlägen überlagert von Schmelzwasser. Typisch ist dabei, dass relativ geringe Wassermengen große Schäden anrichten können. Dieser Beitrag beleuchtet die Hintergründe von Extremabflüssen, welche im-Rahmen der Abflussgenese durch das gleichzeitige Auftreten besonderer Randbedingungen, wie z.B. hohe Frostgrenze in der freien Atmosphäre, ergiebige und zeitweilig intensive Niederschläge, verminderte Speicherfähigkeit der Gletscherflächen, stark durchfeuchtete Schnee- und Firnschichten und starke Schmelzwasserbildung über den aperen Gletscherflächen, auftreten. Durch kontinuierliche glaziologische und meteorologische Messungen vor Ort („Monitoring“) und gegebenenfalls hydrologische Prozessmodellierung kann die Disposition zur Bildung von Hochwässern eingeschätzt werden. Unter Nutzung von detaillierten Temperatur-, und Niederschlagsvorhersagen meteorologischer Modelle erlauben diese Informationen Kurzfristprognose und die Erfassung längerfristiger Trends für Extremabflüsse und bilden die Grundlage für präventive Maßnahmen zum Hochwasserschutz.
Karl AUERSWALD:
Landnutzung und Hochwasser
[S. 67-75]
Wegen der Größe von Gewässereinzugsgebieten liegen meist nur pauschale Informationen zur Landnutzung dieser Gebiete vor, die ggf. dann auch Eingang in eine Modellbildung finden. Fatal ist dabei die häufig vertretene Folgerung, dass die landwirtschaftliche Nutzung nur wenig Möglichkeiten bietet, den Abfluss zu vermindern und dass daher Hochwasser-Schutzmaßnahmen an anderer Stelle eingreifen müssen. Theoretische Erwägungen und Messungen unter kontrollierten Bedingungen zeigen, dass das Gegenteil der Fall ist. Da die Landwirtschaft große Flächen in Anspruch nimmt, trägt sie wesentlich zum Hochwassergeschehen bei. Ansatzpunkte für einen verbesserten Wasserrückhalt sind sowohl in der Bewirtschaftung als auch in der Landschaftsstruktur gegeben. Für beide Bereiche werden Beispiele aufgezeigt und deren Wirksamkeit anhand von Messungen und Modellierungen quantifiziert.
Alle dargestellten Maßnahmen vermindern zusätzlich den Bodenabtrag bzw. Sedimenttransport und zwar noch effektiver, als sie den Abfluss reduzieren. Sie entlasten damit die Gewässer von Sediment und Nährstoffen und leisten zudem einen wesentlichen Beitrag zum Bodenschutz.
Die vorgestellten Maßnahmen wurden über neun Jahre durch den Forschungsverbund Agrarökosysteme München (FAM) getestet. Dabei konnten nicht nur ihre Wirksamkeit, sondern auch ihre agronomischen Vorteile gezeigt werden. Es fehlt jedoch bisher an einer Etablierung dieser Maßnahmen in der Praxis. Dies beruht im Wesentlichen auf traditionellen Vorstellungen und der Skepsis, sowohl auf hydrologischer wie auf agronomischer Seite, hinsichtlich der Effektivität der vorgestellten Maßnahmen.
Franz VALENTIN:
Naturnahe Gestaltung von Gewässern – Wunschvorstellungen und Realität
[S. 77-82]
Der naturnahe Ausbau unserer Flusssysteme hat Konjunktur. Aus der Sicht des Hochwasserschutzes sind diesem berechtigten Vorhaben allerdings Grenzen gesetzt, sobald durch derartige Maßnahmen die Transportkapazität des Flusses Einbußen erleidet. Ausgehend von den natürlichen Randbedingungen für den Oberflächenabfluss, welche das Abflussvermögen mit dem verfügbaren Gefälle im Flusslängsschnitt koppeln, steht im Mittelpunkt dieses Vortrags die Abflussberechnung. Aufgezeigt wird zunächst der Weg für die eindimensionale Berechnung von den einfachen empirischen Annahmen zur Aufstellung einer Abflussformel über die physikalisch begründete Erfassung des Widerstandsverhaltens durch ein universelles Fließgesetz und dessen Erweiterung auf Anwendungen in naturnah gestalteten Abflussquerschnitten. Diese bewährten Berechnungsverfahren sind bereits bei Ausuferungen im Hochwasserfall nicht mehr ausreichend und werden durch die tiefengemittelten 2D-Berechnungen ergänzt. Unter dem Einfluss der sich ständig erweiternden Rechenkapazitäten sind in nächster Zukunft leistungsfähige Simulationsprogramme für die 3D-Erfassung des Abflussvorganges zu erwarten. Die Vorgänge in natürlichen Gerinnen bei Extremabflüssen sind jedoch erst dann vollständig berechenbar, wenn auch der Geschiebetransport zuverlässig simuliert werden kann.
Ulrike PFARR:
Ökologische Seite eines modernen Hochwasserschutzes am Beispiel des Integrierten Rhein-Programms Baden-Württemberg
[S. 85-92]
Der Ausbau des Oberrheins seit Ende des 18. Jahrhunderts hat zu einer zunehmenden Gefahr von Hochwasserschäden im Bereich Iffezheim bis Worms geführt. Zum Schutz der dort lebenden Menschen und der Wirtschaftsgüter sind umfangreiche Schutzmaßnahmen erforderlich. Das Land Baden-Württemberg hat ein modernes, zeitgemäßes Konzept für einen umweltverträglichen Hochwasserschutz erstellt. An 13 Standorten werden im Rahmen des Integrierten Rheinprogramms Hochwasserrückhalteräume gebaut und umweltverträglich betrieben.
Die nach Naturschutzrecht vorgeschriebene Minderung der mit der Nutzung zum Hochwasserschutz verbundenen Eingriffe in Natur und Landschaft erfolgt durch Ökologische Flutungen. Dauer und Höhe des bei Ökologischen Flutungen durch die Rückhalteräume strömenden Wassers richten sich nach den natürlichen Verhältnissen am Oberrhein. Die Extremhochwässer im Februar und Mai 1999 lieferten umfangreiche Daten zur Definition der einzelnen Auestufen.
Gemeinsam mit den Nutzern der Rückhalteräume sucht die Gewässerdirektion nach Wegen, die durch den Bau und Betrieb der Hochwasserschutzanlagen hervorgerufenen Veränderungen und Beeinträchtigungen auszugleichen oder zu kompensieren.
Hermann JERZ und Michael PETERS:
Flussdynamik der Donau bei Ingolstadt in vorgeschichtlicher, geschichtlicher und heutiger Zeit, mit Ergebnissen zur Landschafts- und Vegetationsentwicklung
[S. 95-108]
Die Donau besitzt am Südrand der Fränkischen Alb eine wechselvolle Geschichte. Insbesondere die Flusslaufverlegung aus dem Wellheimer Tal in das Ingolstädter Becken vor rund 250.000 Jahren bedeutet einen neuen Abschnitt in der Donau-Flussgeschichte. Für die Zeit nach der letzten Eiszeit wurde die fluss- und landschaftsgeschichtliche Entwicklung in einem Beitrag zum Forschungsschwerpunkt der Deutschen Forschungsgemeinschaft „Wandel der Geo-Biosphäre in den letzten 15.000 Jahren“, näher untersucht.
Die Entwicklung reicht von einem weit verzweigten Flusssystem im letzten Spätglazial zu einem Mäanderfluss im Postglazial. Dabei war die Flussdynamik anfangs noch klimagesteuert. Ab der Bronzezeit wurden die klimatischen Einflüsse zunehmend von den anthropogenen Einwirkungen überdeckt.
Für die Neuzeit ist eine drastische Verminderung des Stauraumes in den Donauauen angezeigt. Die Folgen sind, dass Katastrophen-Hochwässer, wie sie in den letzten Jahrzehnten wiederholt und in kurzen Abständen eintraten, auch die als vermeintlich sicher angesehenen meist neueren Siedlungsgebiete gefährden. Die Ergebnisse zur Fluss- und Landschaftsgeschichte werden durch die vegetationskundlichen Befunde untermauert.
Emil DISTER:
Auenentwicklung vor/nach der Flussregulierung
[S. 109; kein Vortragsmanuskript eingegangen]
Jens-Peter KOPELKE und Jens AMENDT:
Gallen erzeugende Insekten im Ökosystem Aue
[S. 113-129]
Als Gallen bezeichnet man Wachstumsanomalien an Pflanzenorganen. Sie entstehen unter Einwirkung spezifischer Reizstoffe des Erregers und stellen mehr oder weniger abgeschlossene Kleinstlebensräume (Mikroökosysteme) dar. Gallenerzeuger gibt es in verschiedenen systematischen Gruppen des Tier- und Pflanzenreiches.
Die Besiedlung der Gallen bedeutet Ausnutzung einer für alle gleichermaßen lebenswichtigen, aber nur beschränkt zur Verfügung stehenden Ressource. Die in einem solchen System auftretenden Arten (Phytophage und ihre Gegenspieler) können sich nur unter Herausbildung vielfältiger Überlebensstrategien behaupten. Arten, die Kleinsysteme wie z.B. Gallen besiedeln, durchlaufen Lebensphasen auf verschiedenen ökologischen Ebenen. Entwicklungsort und damit Aktionsfeld der Larven ist das Mikroökosystem Galle. Auf dieser internen ökologischen Ebene findet der zeitlich begrenzte Konkurrenzkampf um Raum und Nahrung statt. Zur Verpuppung und Überwinterung verlassen viele Gallenerzeuger den Gallenraum und begeben sich damit auf die externe ökologische Ebene. Hier können in z.T. hohem Maße schwer kalkulierbare Prozesse der Außenwelt zur Wirkung kommen. Dabei spielen die Auswirkungen durch Räuber ebenso eine Rolle wie diverse, klimatisch bedingte Faktoren wie z.B. längerfristige Überflutungen am Verpuppungsort der Gallenerzeuger oder Vernichtung ihrer Wirtspflanzen durch reißende Hochwasserfluten. Auf den Weiden (Salix spp.) der Auengebiete des Rheins treten vor allem Arten der „Echten Blattwespen“ (Tenthredinidae) und Gallmücken (Cecidomyiidae) auf. Im Frühjahr 1999 vernichtete ein außergewöhnliches Hochwasser des Rheins bei Hartheim über 10 % des Weidenbestandes. Durch die Ablagerung des vom Hochwasser mitgeführten Sediments entstand eine Dünenlandschaft, die noch im selben Jahr vom Jungwuchs der Silberweide (Salix alba) nahezu vollkommen besiedelt wurde. Das neue Angebot junger, äußerst vitaler Wirtspflanzen wurde von den Gallenerzeugern als bevorzugte Reproduktionsgrundlage bereits im Jahre 1999 angenommen. Schon in der Vegetationsperiode 2000 nahm die Populationsdichte der Gallenerzeuger deutlich zu.
Peter JÜRGING:
Die Bedeutung von Hochwasser für die Renaturierung der Flusslandschaft Isar
[S. 131-142]
Die von den Alpen kommende Isar war noch im 19. Jahrhundert von einer starken Hochwasser- und Geschiebedynamik geprägt. Sich ständig verlagernde Flussarme sowie weitläufige Kiesbänke und Kiesinseln bestimmten die Lebensräume. In der Folgezeit wurde diese dynamische Flusslandschaft aufgrund nutzungs- und sicherheitsorientierter Ausbauten in vielen Flussabschnitten immer mehr nivelliert. Die Folge war eine Verarmung an wildflusstypischen Lebensräumen. Heute versucht man deshalb überall dort, wo die derzeitigen Rahmenbedingungen dies zulassen, schrittweise wieder naturnähere Verhältnisse zu schaffen. Bei ausreichend verfügbaren Flächen genügt es hierzu bereits, die starren Uferbefestigungen zu entfernen, den Geschiebetrieb wieder zu fördern und die restliche Gestaltung des Flussbetts der FIießgewässerdynamik zu überlassen.
Josef H. REICHHOLF:
Verlandungsdynamik und Hochwässer am unteren Inn: Auswirkungen auf die Ökologie von Fluss-Stauseen
[S. 145-157]
Von 1942 bis 1965 wurde der untere Inn von der Salzachmündung bis Passau in eine Kette von fünf Laufstauseen untergliedert. Vier davon, die Innstufen Neuhaus-Schärding (Flusskilometer 18/8) bis Simbach-Braunau (km 61/1), welche auch den Mündungsbereich der Salzach mit einstaut, bilden das „Feuchtgebiet von internationaler Bedeutung unterer Inn“. Auf einer Länge von insgesamt etwa 50 Flusskilometern sind davon große Teile bayerischer- und österreichischerseits als Naturschutzgebiete ausgewiesen. Seit 1960 werden darin gewässerökologische Untersuchungen durchgeführt. Sie ermöglichen die Beurteilung der Auswirkungen von Hochwässern, von denen es mehrere starke in dieser Zeit und das stärkste im 20. Jahrhundert überhaupt, das Hochwasser 1954, am Inn gegeben hat.
Den Inn charakterisieren niedrige Wassertemperaturen (maximal +15 °C), ausgeprägte Sommerwasserführung (durchschnittlich 2000 m3/s) und winterliche Minima (200 m3/s) sowie eine außerordentlich hohe Schwebstofffracht („Gletschermilch“). Die Stauseen wurden daher im Verlauf von nur jeweils gut einem Jahrzehnt bis zum hydrologischen Gleichgewicht zwischen Anlandung und Abtragung aufgefüllt; die Auwälder, die sich auf den Inseln und Anlandungen gebildet haben, unterliegen der normalen Hochwasserdynamik und keinerlei Bewirtschaftung.
Die Untersuchungen zeigten, dass selbst sehr starke Hochwässer nur kurzzeitig tierische und pflanzliche Biomasse vermindern oder vernichten, die rasch wieder aufgebaut wird. Auf die Bestandsentwicklung von Wasservögeln, Fischen und Muscheln nahmen sie keinen nachhaltigen Einfluss. Sie stellten jedoch immer wieder die Eignung der Flachwasserzonen und Schlickbänke als Rastgebiete (fern) ziehender Wasservögel (Limikolen, Enten) durch Neuanschwemmung und Umlagerungen her. Die Verlandungsvorhänge selbst konnten durch die Hochwässer entweder beschleunigt werden (Sedimentation) oder durch stark angestiegene Strömungsgeschwindigkeiten (Ausräumungswirkungen) auf ein früheres Stadium zurückgeworfen werden.
Unvergleichlich stärkere Auswirkungen als die Hochwässer zeitigte dagegen der starke Rückgang der Fracht an organischem Detritus im Fluss. Dieses organische Material stammte aus häuslichen Abwässern und wurde mit den modernen Kläranlagen dem Inn nahezu vollständig entzogen. Da der auf praktisch ganzer Länge begradigte und in eine komplette Kette von Stauseen untergliederte, außeralpine Innlauf nur noch sehr wenig organisches Material aus der Flussaue erhält, ist der untere Inn extrem nahrungsarm geworden. Sehr starke Rückgänge in den Beständen von Fischen und Muscheln sowie deren Produktivität wie auch bei den meisten Wasservögeln sind die Folgen dieser Entwicklung.
Hochwässer sind im Vergleich dazu unbedeutende Kurzzeiteffekte.
Hochwässer und Überschwemmungen flussnaher Gebiete sind natürliche Vorgänge in Flusslandschaften und elementarer Bestandteil fluvialer Ökosysteme.
Aus der Sicht des Menschen jedoch, der diese Flusslandschaften landwirtschaftlich und städtebaulich nutzt, stellen Hochwässer und Überschwemmungen ein Gefahrenpotenzial dar. Diese Sichtweise der Hochwässer als Katastrophe lässt jedoch die wichtige ökologische Bedeutung dieser Ereignisse völlig außer Acht. Besonders deutlich wird dies an den Ökosystemen der Flussauen: Diese beherbergen eine artenreiche Flora und Fauna, die auf gelegentliche Hochwässer mit großen Überschwemmungen sogar angewiesen sind. Durch die immer stärkeren menschlichen Eingriffe zur Verhinderung von Überschwemmungen kommt es jedoch auch zu nachhaltiger Veränderung der flussnahen Ökosysteme, was u.a. zu einer deutlichen Verarmung der Lebensgemeinschaften in den Flusslandschaften führt.
Wie könnte unter diesen Aspekten ein moderner Hochwasserschutz aussehen, der beiden Seiten – sowohl der Ökologie flussnaher Landschaften als auch den Gefährdungen und Ängsten der dort lebenden Menschen – gerecht wird? Nur das Erkennen der in Ökosystemen ablaufenden Vorgänge erlaubt es, Fehler bei Flussregulierungen, wie sie in den letzten Jahrzehnten zahlreich und schwerwiegend aufgetreten sind, zu vermeiden.
Der Kommission für Ökologie der Bayerischen Akademie der Wissenschaften ist es gelungen, führende Experten zu diesen spannenden, vielseitigen und ökologisch sehr wichtigen Fragestellungen zu einem ihrer Rundgespräche zu gewinnen. Die Ergebnisse dieser Fachtagung – Vorträge sowie Diskussionen – sind in dem vorliegenden Buch zusammengestellt. Es umspannt dabei ein weites Feld: Von dem Einfluss der Gletscher bis hin zur historischen Entwicklung der Donau-Flusslandschaft, von den hydrologischen Berechnungsgrundlagen bis hin zur speziellen Situation an Isar und Inn, um nur einige behandelte Themen herauszugreifen.
Gerade das extreme Hochwasser im August 2002 an Donau, Elbe und ihren Nebenflüssen zeigt, wie hoch aktuell dieses Thema ist. Im Zuge dieses Hochwasserereignisses wird von vielen Seiten verstärkt eine Renaturierung der Auenlandschaften als zur Verfügung stehender natürlicher Überflutungsraum gefordert und damit ein ökologisch ausgerichteter Hochwasserschutz. Als konkretes Beispiel hierfür wird in dem vorliegenden Buch das bewährte Integrierte Rheinprogramm Baden-Württemberg vorgestellt.
So hoffen wir, mit diesem Band, wenn auch die neuesten Daten von dem Hochwasser 2002 noch nicht ausgewertet und daher in ihm auch noch nicht enthalten sein können, allen am Umweltgeschehen Interessierten – sowohl Laien als auch Experten aus Verwaltung und Wissenschaft – mit diesem Buch viel an nützlicher Information bringen zu können.
Horst Hagedorn, Dietrich Herm, Hubert Ziegler
* Amendt, Jens, Dipl.-Biol., Universität Frankfurt, Zentrum der Rechtsmedizin, Frankfurt.
* Auerswald, Karl, Prof. Dr., Technische Universität München, Lehrstuhl für Grünlandlehre, Freising.
Aufleger, Markus, Priv.-Doz. Dr.-Ing., Versuchsanstalt für Wasserbau und Wasserwirtschaft, Technische Universität München, Oskar von Miller-Institut, Obernach.
* Braun, Ludwig, Dr., Bayerische Akademie der Wissenschaften, Kommission für Glaziologie, München.
Cramer, Hans-H., Dr., Köln.
Deutsch, Mathias, M.A., Universität Erfurt, Fachgebiet Geographie, Erfurt.
* Dister, Emil, Prof. Dr., WWF-Aueninstitut, Rastatt.
* Ebel, Ulrich, Dr., Swiss Re Germany AG, Unterföhring.
Finck, Peter, Dr., Bundesamt für Naturschutz, Bonn.
Fischbeck, Gerhard, Prof. Dr., Mitglied der Kommission für Ökologie, Technische Universität München, Lehrstuhl für Pflanzenbau und Pflanzenzüchtung, Freising.
Gießner, Klaus, Prof. Dr., Katholische Universität Eichstätt, Lehrstuhl für Physische Geographie, Eichstätt.
* Glaser, Rüdiger, Prof. Dr., Universität Heidelberg, Geographisches Institut, Heidelberg.
Hack, Hans-Peter, Prof. Dr.-Ing., Bauhaus-Universität Weimar, Institut für Wasserwesen, Weimar.
Hagedorn, Horst, Prof. Dr., Mitglied der Kommission für Ökologie, Universität Würzburg, Institut für Geographie, Würzburg.
Haider, Konrad, Prof. Dr., Deisenhofen.
Herm, Dietrich, Prof. Dr., Mitglied der Kommission für Ökologie, Ludwig-Maximilians-Universität München, Institut für Paläontologie und Hist. Geologie, München.
Hoppe, Brigitte, Prof. Dr., Ludwig-Maximilians-Universität München, Geschichte der Naturwissenschaften, München.
Hornik, Helmut, Dipl.-Ing., Bayerische Akademie der Wissenschaften, Deutsche Geodätische Kommission, München.
* Jerz, Hermann, Prof. Dr., Universität Augsburg, Institut für Geographie, Augsburg.
* Jürging, Peter, Dr., Bayerisches Landesamt für Wasserwirtschaft, Abt. Gewässerentwicklung und Wasserbau, München.
Kleeberg, Hans-B., Prof. Dr.-Ing., Universität der Bundeswehr München, Institut für Wasserwesen, Neubiberg.
Kopf, Timo, ARGE Diversitas, Innsbruck.
Kraus, Werner, ltd. BD, Wasserwirtschaftsamt Rosenheim, Rosenheim.
Leicht, Hans, RD Dipl.-Ing., Bayerisches Landesamt für Umweltschutz, Ref. für Landschaftsentwicklung, Augsburg.
Lischeid, Gunnar, Dr., Universität Bayreuth, BITÖK, Abt. Hydrogeologie, Bayreuth.
Mayr, Christoph, Dr., Wasserwirtschaftsamt München, München.
Mößmer, Reinhard, Ltd FD Dr., Bayerische Landesanstalt für Wald und Forstwirtschaft, Freising.
Nöth, Heinrich, Präsident Prof. Dr., Mitglied der Kommission für Ökologie, Bayerische Akademie der Wissenschaften, München.
* Pfarr, Ulrike, Dr., Gewässerdirektion Südl. Oberrhein/Hochrhein, Lahr.
Rehfuess, Karl Eugen, Prof. Dr., Mitglied der Kommission für Ökologie, Technische Universität München, Wissenschaftszentrum Weihenstephan, Dept. für Ökologie, Freising.
Reinwarth, Oskar, Dr., Bayerische Akademie der Wissenschaften, Kommission für Glaziologie, München.
* Reichholf, Josef H., Prof. Dr., Mitglied der Kommission für Ökologie, Zoologische Staatssammlung, München.
Schwertmann, Udo, Prof. Dr., Mitglied der Kommission für Ökologie, Technische Universität München, Wissenschaftszentrum Weihenstephan, Dept. für Ökologie, Freising.
Speer, Franz, DAV, Ref. für Natur und Umweltschutz, München.
* Tockner, Klement, Dr., ETH, EAWAG (Eidgenössische Anstalt für Wasserversorgung, Abwasserreinigung und Gewässerschutz), Dübendorf.
Trettenbach, Martin, LBD, Regierung von Oberbayern, München.
* Valentin, Franz, Prof. Dr.-Ing., Technische Universität München, Lehrstuhl für Hydraulik und Gewässerkunde, München.
Weber, Markus, Dipl.-Met., Bayerische Akademie der Wissenschaften, Kommission für Glaziologie, München.
Wetzel, Karl-Friedrich, Priv.-Doz. Dr., Universität Augsburg, Lehrstuhl für Physische Geographie, Augsburg.
Ziegler, Hubert, Prof. Dr., Bayerische Akademie der Wissenschaften, Kommission für Ökologie, München.
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