Daß das Interesse an der Erdgeschichte im Schwäbischen weiter verbreitet ist als in manchen anderen Landstrichen Deutschlands, hat vielfältige Ursachen. Ein ganz wesentlicher Grund ist der Reichtum der hier anstehenden geologischen Schichten an Fossilien. Die noch zu Anfang dieses Jahrhunderts ganz überwiegend in der Landwirtschaft beschäftigte Bevölkerung stieß vielerorts praktisch tagtäglich bei der Bearbeitung des Bodens auf diese Zeugnisse der Erdgeschichte, und so drängte sich die Frage nach der Natur dieser Objekte und danach, wie sie in den Boden gelangt sein könnten, von ganz alleine auf. Hinzu kam, daß einige der Geologen und Paläontologen des vergangenen Jahrhunderts, die sich mit der Erforschung des heimischen Untergrundes beschäftigten, nicht müde wurden, ihre Forschungsergebnisse nicht nur der Fachwelt mitzuteilen, sondern sie auch weitherum in den ländlichen Regionen bekanntzumachen, und sei es nur, um sich so ein Netz von Zulieferern von Fossilien für ihre Forschungsvorhaben zu sichern. Stellvertretend sei hier Friedrich August QUENSTEDT (1809-1889), der Erforscher des Schwäbischen Juras, genannt. Wie er als Professor an der Tübinger Universität haben seine Nachfolger ganze Generationen von angehenden Lehrern für die Erdgeschichte begeistert und so für eine breite Streuung entsprechender Kenntnisse gesorgt.
Wenn sich unsere Lebensweise inzwischen durch zivilisatorische Einflüsse auch mehr und mehr vom direkten Kontakt zur Natur gelöst hat, so bleibt doch die Neugier, wie die Landschaft, in der wir leben, entstand, wie das Leben sich in ihr entwickelte und nicht zuletzt, wie unser eigenes Geschlecht hier Fuß faßte.
Den Schwaben wird ein gesundes Verhältnis zum materiellen Wert der Dinge nachgesagt, und auch diese Neigung hat beim Interesse an Fossilien mitgewirkt. An einigen Orten haben Fossilien sogar zeitweise im wahrsten Sinne des Wortes zum Überleben beigetragen. So etwa in Laufen an der Eyach, wo die bettelarme Bevölkerung nach etlichen Mißernten in den vierziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts am Rande der Existenzmöglichkeit angelangt war. Oscar FRAAS (1824-1897), der später am Naturalienkabinett, dem Vorgänger des heutigen Staatlichen Museums für Naturkunde in Stuttgart, tätig war, kam nach seinem Theologiestudium 1850 als Pfarrer in diesen Ort und rief dort ins Leben, was man heute eine Arbeitsbeschaffungsmaßnahme nennen würde. Er lehrte die Leute nämlich »aus Steinen Brot zu machen«, indem er sie zum Sammeln und Ergraben von Fossilien anhielt, die er dann anschließend an Hobbysammler verkaufte. Solche Fossilliebhaber sind auch heute noch kaum irgendwo so dicht gesät wie im Schwabenland.
Oscar FRAAS, sein Sohn Eberhard und dessen Schwiegersohn Fritz BERCKHEMER haben über drei Generationen hinweg die »vaterländische geologische Sammlung« am Naturalienkabinett ausgebaut. In ihrer Nachfolge stehen die meisten Autoren dieses Bandes durch ihre Anstellung am Stuttgarter Naturkundemuseum (SMNS).
Das Gebiet, das in diesem Band abgehandelt wird, umfaßt im wesentlichen Württemberg, aber da geologische Formationen sich nicht an politischen Grenzen zu orientieren pflegen, wurden hie und da auch Nachbarregionen einbezogen, wenn das zum besseren Verständnis der Zusammenhänge notwendig erschien. Dabei reicht der Bogen der Betrachtung vom Hohenlohischen im Norden bis nach Oberschwaben und an den Hochrhein im Süden und vom Schwarzwald im Westen bis zum Nördlinger Ries im Osten.
Wenn aus den folgenden Beiträgen herausscheint, daß auf diesem Globus alles dem stetigen Fluß der Veränderung unterworfen ist, ist ein Grundprinzip erdgeschichtlichen Geschehens deutlich geworden. Vergangene revolutionäre Veränderungen auch in Südwestdeutschland mahnen uns, daß die Erde sehr wohl ohne Menschheit auskommen, diese aber nicht ohne ein intaktes Naturgefüge überleben kann. Unabhängig von solchen Überlegungen sollen die Bilder den Sinn für die Ästhetik der vielfältigen Lebensformen vergangener Epochen wecken und ihren Teil zum Staunen über den Reichtum der Schöpfung beitragen.
Stuttgart, den 1. September 1998
Elmar P. J. HEIZMANN
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