Die römische Kolonie von Butrint und die Romanisierung Griechenlands
1998. [German] – 168 pp., 92 black-and-white figures.
24,5 x 17,3 cm, Hardcover.
Series: Studien zur antiken Stadt
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Die Idee, mich mit dem römischen Butrint zu beschäftigen, und zugleich der Grundgedanke für diese kleine Abhandlung, ist während eines Besuches in Albanien, im Sommer 1989, entstanden. Damals hatte sich ein reger Tourismus entwickelt, durch den auch viele Archäologen und Altertumswissenschaftler dieses bis dahin unzugängliche Land erstmals besuchen konnten. Unsere Reisegruppe war seinerzeit von dem unermüdlichen Marburger Forscherehepaar H. und G. Koch betreut worden, denen nicht wenige wissenschaftliche Kollegen, ich selbst eingeschlossen, die liebevolle Organisation der Reise zu verdanken hatten.
Damals hatten wir während mehrerer angenehmer Sommertage Gelegenheit, die Topographie und die reichen Bestände des Museums von Butrint ausführlich kennenzulernen. Dabei wurde ich auf den merkwürdigen Zwiespalt aufmerksam zwischen der ganz an Griechenland gemahnenden Umgebung an der Meeresstraße von Korfu und den zum großen Teil an westliche, italische Fundorte erinnernden Gegenständen. Dieser Eindruck drängte sich etwa im Theater mit seiner lateinischen pulpitum-Bühne auf (Abb. 7. 35) oder bei der Betrachtung einer ganzen Anzahl der im Museum ausgestellten Skulpturen (vgl. z.B. Abb. 44. 45).
Das forderte natürlich nach einer Erklärung. Schließlich befanden wir uns in einer seit alters von Griechen besiedelten Stadt. Anders als in den westlichen Provinzen des römischen Reiches schien es hier nicht ausreichend, das Phänomen mit der Gründung einer römischen Kolonie (44 v.Chr.) in Zusammenhang zu bringen und als Romanisierungsprozeß oder einfach als im Trend der Zeit liegenden Vorgang zu verstehen.
Vielmehr stellten sich unwillkürlich Fragen nach dessen Charakter. Wie war es möglich, daß eine Stadt mit alten griechischen Traditionen durch die Koloniegründung zu einer durch und durch westlichen Stadt wurde? Welche kulturellen und sozialen Prozesse lagen dem zugrunde? Und wie verhielten sich die vorrömischen Einwohner dazu? Wie mag schließlich mit ihnen von Seiten der Kolonisten verfahren worden sein?
Die Gelegenheit, eine erste, noch ganz auf Butrint zielende Fassung zu erarbeiten, bot die Probevorlesung im Rahmen meines Habilitationsverfahrens vor der Göttinger Philosophischen Fakultät im Sommersemester 1994. Die Diskussionen, die sich im Anschluß daran sowie an spätere Vorträge in Köln und Dublin ergaben, machten jedoch klar, daß es notwendig wäre, den Blickwinkel über Butrint hinaus zu lenken und andere westliche Koloniestädte in Griechenland vergleichend zu betrachten. Anregend dafür wirkte das Buch von Susan Alcock, Graecia capta (1993), das freilich den Aspekt der Urbanistik und der im weiteren Sinne darauf bezüglichen Quellen weitgehend außer Acht ließ.
Zum Vergleich kamen vor allem Nikopolis und Korinth infrage. Die Beobachtungen in Patras sind wohl noch zu lückenhaft, obwohl dort durch die Arbeiten der griechischen Kollegen in Kürze eine erhebliche Ausweitung des greifbaren archäologischen und epigraphischen Quellenmaterials zu erwarten ist. Die Überlegungen zu Korinth und Nikopolis sind dann in ihren Grundzügen während einer Reise im Herbst 1995 entstanden.
Der auf diese Weise erarbeitete Text ist weit davon entfernt, eine erschöpfende Behandlung des kaiserzeitlichen Griechenland auf archäologischer Grundlage zu sein und sei es auch nur für den Aspekt der Urbanistik. Es ging mir vielmehr vorrangig um drei Ziele. Erstens sollte der Fall Butrint im Detail untersucht werden. Zweitens sollte durch den Vergleich mit der Situation in den anderen römischen Städten in Griechenland der Ansatz für eine Typologie römischer Kolonien erarbeitet werden. Er kann vielleicht als Anstoß für eine Systematisierung der sozialen und kulturellen Vorgänge bei der Anlage der römischen Städte auch in anderen Provinzen nützlich sein. Und drittens sollte die Frage nach der Romanisierung Griechenlands grundsätzlich aufgeworfen werden und danach, welche Rolle die westlichen Städtegründungen der frühen Kaiserzeit in Griechenland dabei gespielt haben.
Daran anschließend müßte sich eigentlich die Frage nach der Aufnahme stellen, die die westlichen Phänomene in den griechischen Städten gefunden haben, die nicht von römischen Kolonisten besiedelt wurden. Wie etwa haben dort die doch stark westlich geprägten Thermen Einzug gehalten? Eine interessante Quellengattung könnten vielleicht wie in anderen Epochen die griechischen Grabstelen dieser Zeit sein. Diesen und anderen Fragen kann freilich an dieser Stelle nicht nachgegangen werden. Bis ein umfassendes Bild der kulturellen und sozialen Verhältnisse des frühkaiserzeitlichen Griechenland gewonnen sein wird, bleibt noch viel Arbeit zu tun.
Die Untersuchung der Skulpturen, Inschriften und der architektonischen Reste in Butrint gewinnt durch die jüngsten Ereignisse in Albanien jedoch noch eine andere Bedeutung. Einige der aus den italienischen Publikationen der dreißiger Jahre bekannten Skulpturen wie etwa den Statuenkörper im Typus der Nemesis von Rhamnus (Kat.Nr. Th 7 Abb. 104) hatten wir bereits 1989 nicht mehr zu Gesicht bekommen; anderes wie die Statue der großen Herkulanerin aus dem Theater war dagegen schon damals zu Fragmenten reduziert (Kat. Nr. Th 6 Abb. 99. 102-103).
Nur wenige Monate nach unserem Besuch in Butrint sollte die geschichtliche Wende des Jahres 1989 auch für Albanien weitgehende Hoffnungen entstehen lassen. Sie fanden jedoch in den Tagen der Unruhen im Frühjahr 1997 ein jähes Ende. Butrint war mit dem Gebiet von Saranda in dieser Zeit völlig von Tirana abgeschnitten. Und was im Museum noch vorhanden war, dürfte im Zuge des Aufstands verlorengegangen sein. Die meisten Stücke jedoch, Inschriften und Skulpturen, waren schon im September 1995 nicht mehr auffindbar gewesen. Verschiedene Versuche, über den Verbleib der Stücke in Butrint und Tirana Nachricht zu erhalten, sind gescheitert.
Daher ist die Vermutung nicht völlig von der Hand zu weisen, daß das durchweg qualitätvolle Material sich eines Tages auf dem internationalen Kunstmarkt wiederfinden könnte. Die Photos, die dieser Abhandlung beigegeben sind, sollen deshalb auch dem Zweck dienen, die Stücke vor einer Zerstreuung in alle Welt und der damit einhergehenden Vertuschung der Provenienz zu bewahren. Ein solches Schicksal wäre nicht nur eine Tragödie für Butrint, sein Museum und ganz Albanien. Vielmehr wäre der Quellenwert der anonymisierten Fundstücke auf den Rang von kaum neue Aspekte aufwerfenden Überlieferungen bereits vielfach bekannter Statuentypen beschränkt. Dagegen erlaubt allein ihre gemeinsame Herkunft aus Butrint, teils sogar aus bestimmten Gebäuden der Stadt, eine historisch relevante Aussage.
Rom im Oktober 1997
Johannes Bergemann aus Bremen, Jahrgang 1960, studierte Klassische Archäologie in Bonn, Göttingen, München und Rom. Nach der Promotion und dem Reisestipendium des Deutschen Archäologischen Instituts war er Wissenschaftlicher Assistent in Göttingen, Guest Scholar an der Universität Princeton (New Jersey) und Heisenbergstipendiat der Deutschen Forschungsgemeinschaft. Anschließend war er Dozent in Göttingen und lehrt nun Klassische Archäologie an der Ruhr-Universität in Bochum. Zu seinen wichtigsten Arbeitsgebieten gehören die griechisch-römische Skulptur und ihre Bedeutung im gesellschaftlichen Kontext, die griechische Sepulkralkunst, die historische Landeskunde und Bilddatenbanken für archäologische Problemstellungen.
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